Kiss The Cook! Teil 1
Teil 1
Ich weiß nicht, was in den jungen Dingern von heute so vor sich geht und das nicht einmal bei meiner Tochter Christina. Sie ist 25 Jahre alt, studiert Germanistik und ich frage mich manchmal, was einmal aus ihr werden soll.
Dabei habe ich mir so viel Mühe mit ihr gegeben. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie sie geboren wurde und es erfüllt mich immer noch mit einem sehr warmen Gefühl, wenn ich darüber nachdenke, wie ich sie das erste Mal in meinen Armen hielt.
Um ehrlich zu sein, was ich zu dieser Zeit noch gar nicht in der Lage damit fertig zu werden. Gerade mal zwanzig Jahre Alt und die Mutter ein Jahr jünger. Wir waren so etwas von unvorsichtig gewesen und hatten uns keine Gedanken gemacht. Traumtänzer würde ich heute sagen. Von nichts eine Ahnung, aber Kinder in die Welt setzten.
So erging es aber nicht nur mir, sonder auch Sabine, ihrer Mutter und gleichzeitige Partnerin von mir. Ich hatte sie kennengelernt und dachte, dass sie die Partnerin für mein restliches Leben wäre, aber das stellte sich ziemlich schnell als Trugschluss heraus.
Wie schon gesagt, wir waren jung und konnten unser Handeln noch gar nicht übersehen.
Klar, die ersten Wochen nach der Geburt waren interessant. Wir als Paar konnten mit hoch erhobenem Kopf und Kinderwagen durch die Straßen wandeln und uns daran hochziehen, dass uns die Welt zu Füßen lag. Dumm nur, dass die Welt es anders sah und uns nicht zu Füßen lag, sondern uns damit trat.
Das merkten wir ziemlich schnell, denn das Kind brachte natürlich Einschränkungen mit sich, die wir auf die Dauer nicht einsehen wollten. Wenig Schlaf, noch weniger Geld und am schlimmsten, noch weniger Freizeit, in der man machen konnte, was man wollte. Eine sehr explosive Mischung.
Besonders Sabine konnte sich damit immer weniger abfinden und wurde geradezu aggressiv, besonders mir gegenüber. Schon bei dem kleinsten Anlass begann sie zu schreien und machte mich für das ganze Elend verantwortlich, in dem sie steckte. Zumindest nannte sie das so. Sie keifte mich an und verließ dann immer öfter fluchend und mehr als böse die Wohnung und ließ mich alleine mit Christina. So blieb mir nichts viel anders übrig als mich mehr oder weniger alleine um sie zu kümmern.
Um es kurz zu machen, denn ich will nicht die ganze traurige Geschichte erzählen, Sabine trennte sich von mir und zu meiner Überraschung, auch von ihrem Kind. Nach einigem hin und her bekam ich das Sorgerecht, wobei Sabine natürlich das Besuchsrecht eingeräumt wurde. Dieses nahm sie aber so gut wie nie in Anspruch. Wahrscheinlich hatte sich ihre Wut oder gar der Hass, den sie mit sich herumtrug, auf das Kind gerichtet, denn sie mache nicht nur mich für alles verantwortlich. Beide waren wir die gewesen, die ihr die Luft zum Atmen genommen hatten.
Ich übernahm also die Rolle von Mutter und Vater zugleich, denn wer sollte es sonst tun? Dabei hatte ich noch Glück im Unglück, denn ich konnte meinen Arbeitgeber davon überzeugen, dass ich von Zuhause aus wesentlich besser und effektive für ihn arbeiten konnte, als sonst.
Es funktionierte tatsächlich. Mein Arbeitgeber war mit dem Resultat nach anfänglicher Skepsis mehr als zufrieden und ich konnte mich um die kleine Christina kümmern und leider auch zu sehr verhätscheln. Ich war ja immer da und so saß ich oft an meinem Schreibtisch und schrieb etwas, während ich an meinem Fuß eine Schnur befestigt hatte, die zur Wiege von Christina ging. Die Bewegung mit dem Bein, um die Wiege von Christina in Bewegung zu halten, ging ganz von alleine.
Es musste wirklich komisch ausgesehen haben.
In der Zeit, wo ich nicht arbeitete und Christina meine Aufmerksamkeit nicht brauchte, konnte ich nicht viel tun, denn weggehen war nicht drin. Also begann ich, zu schreiben.
Zuerst eher kurze Geschichten für Christina, die ich ihr vorlesen wollte, wenn sie alt genug war, um sie zu verstehen. Dann wurden diese aber immer länger und hatten keinen Märchencharakter mehr. Sie wurden zu richtigen Romanen in der ich in eine Welt flüchten konnte, die mir nicht offen stand. Ich war in meiner gefangen, aber durch diese Ablenkung, konnte ich der Enge meiner Gedanken entfliehen.
Irgendwann bot ich einer regionalen Zeitung eine meiner längeren Geschichten an, um diese in einer Rubrik als Fortsetzungsgeschichte abzudrucken. Aber nicht nur hier. Ich schrieb in den verschiedensten Kategorien und suchte mir dazu die endsprechenden Verlage heraus.
Klar, es gab Ablehnungen und so manche Anfrage verlief im Sande, denn ich bekam keine Rückmeldung. Aber es gab auch die wenigen Fälle, wo es doch gedruckt wurde. Das machte mich dann immer stolz und ich begann, an einem Roman zu arbeiten. Dieser sollte eigentlich nur für mich sein, denn für eine Veröffentlichung war er für Zeitschriften und ähnliche Medien, viel zu lang.
Dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Bei mir meldete sich ein Verlag, der wohl ein paar meiner Artikel gelesen hatte. Sie fragten nach, ob ich nicht auch noch etwas anderes hätte. Hierbei musste ich dann direkt an meinen Roman denken, den ich inzwischen geschrieben hatte. Er passte halbwegs in die gesuchte Kategorie.
Sie bekamen mein Manuskript und schon zwei Wochen später, hatte ich einen Vertrag unter der Nase. Sie wollten mein Buch verlegen. Ich war selber unheimlich überrascht, was die Folge hatte, dass ich mich unter Wert verkaufte oder besser gesagt mein Buch.
Um es vorwegzunehmen, es schlug ein und machte den Verleger etwas reicher als zuvor, mich aber nicht. Da der Verlag aber daran interessiert war noch mehr von mir zu verlegen, änderte sich dieses Mal meine Verhandlungsposition gewaltig. So kam ein anderer, wesentlich lukrativerer Vertrag für mich dabei heraus.
Was soll ich sagen, ich konnte ab dann sehr gut von dem Geld leben und gab nach anfänglichem Zögern meinen alten Job auf.
So verging die Zeit und Christina wurde immer älter und leider auch selbstständiger, was nicht vernünftiger heißt. Als sie dann in die Pubertät kam, wurde es noch dreimal schlimmer. Aber bei allem Verdruss, den sie mir in dieser Zeit brachte, hatte sie wenigstens niemals ihre schulischen Leistungen aus den Augen verloren. An denen war nichts zu mäkeln und so machte sie ihr Abi mit sehr guten Noten.
So konnte ich wenigstens in der Hinsicht auf sie Stolz sein, zumal wir gerade in den ersten Schuljahren so viel zusammen gelernt hatten. Selbst heute kam sie noch zu mir, wenn sie auf Problemen herumkaute.
Dann entschied sie sich dazu, studieren zu wollen und kam auf die glorreiche Ideen Germanistik zu studieren. Ich hatte nichts dagegen, fragte mich allerdings, was sie damit wollte.
Klar, Lehramt, ich hätte auch selber drauf kommen können. Ich hatte mir zwar für meine Tochter etwas anders gewünscht als Lehrerin zu werden, aber wenn sie es wollte, war es in Ordnung.
Ich möchte hier nur einmal etwas klarstellen. Ich habe nichts gegen Lehrer, auch wenn es sich so anhört.
Dann bekam ich auch heraus, warum Christina ausgerechnet Germanistik studieren wollte.
Die Uni war sozusagen um die Ecke. So konnte sie bei Papa weiterhin bequem wohnen bleiben und musste ich um nichts weiter Gedanken machen.
Eigentlich hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich hätte es gerne gesehen, wenn sie mindestens zweihundert Kilometer weiter weg studiert hätte. Damit wäre sie endlich selbstständiger geworden, aber das fiel aus.
Ich wollte sie schon fast rausschmeißen, aber wenn sie einen mit ihren rehbraunen Augen ansah, dann konnte man ihr nichts abschlagen. Also blieb sie bei mir wohnen.
Inzwischen studiert sie das X-te Semester und ich habe den Eindruck, als wenn sie für immer bei mir wohnen bleibt. Zwischendurch war sie von Germanistik auf etwas anderes gewechselt, weil es ihr besser gefiel, aber letztendlich wechselte sie wieder zurück. Dabei gewann ich den Eindruck, dass sie gar nicht mit dem Studium fertig werden wollte. Es ging ihr ja auch so sehr gut.
Den einzigen Vorteil der ganzen Geschichte war, dass sie öfters ihre Freundinnen mit nach Hause brachte und da war so manches schnuckelige Ding bei. Besonders im Sommer erfreute es mich sehr, wenn Christina mit einer oder mehreren ihrer Freundinnen, unsere Terrasse bevölkerte.
Um es mal deutlich zu sagen. Ich war mitte vierzig, als Papa noch recht jung, und wenn knackige Frauen in einem Alter von mitte Zwanzig im Bikini vor deinem Fenster liegen, bin ich sicher der letzte, der nicht mal einen Blick riskiert. So kam es öfters, dass ich mich nicht auf meinen nächsten Roman konzentrieren konnte, denn das Fenster meines Arbeitszimmers ging nun einmal in Richtung Terrasse.
Bei all diesem war ich dann immer froh, das ich Christina gut erzogen hatte und sie nicht alles vergessen hatte. So hatte ich schon immer darauf bestanden, dass wenn sie Gäste mitbrachte, diese zumindest vorstellte, wenn sie das erste Mal bei uns waren. So konnte ich sozusagen schon eine Vorauswahl treffen, ob sich ein Blick lohnte oder nicht. Nicht jede junge Frau interessierte mich, so manche von ihren wollte ich nicht im Traum sehen. Aber es gab eben auch die Speziellen, auf die sich ein zweiter Blick lohnte.
Eines Tages, ich werde diesen niemals vergessen, kam Christina wieder einmal in mein Arbeitszimmer gestürmt und hatte eine mir unbekannte Frau im Schlepptau.
„Hi Paps, darf ich dir Bea vorstellen. Sie ist in meinem Germanistikkurs und möchte gerne eine Widmung von dir in eines ihrer Bücher. Sie hat gesagt, dass ihr dein Schreibstil gefällt!“
Ich sah neugierig auf Bea und musste etwas in mich hinein grinsen. Sie war etwa einen Meter siebzig groß, dürr wie ein Besenstiel und sah wirklich so aus, wie man sich eine Studentin eigentlich vorstellte. Schlabberige Klamotten an, die ihre Figur, sofern man davon sprechen konnte, nicht kaschieren konnte und sicher auch nicht sollte. Dazu die sicher stark gelockten, langen und naturbraunen Haare mit einem Gummiband hinten als Zopf zusammengebunden. Dazu kam eine unmoderne Brille für die richtige Sicht eines Bücherwurms.
Überhaupt Bücher, welcher moderne junge Mensch steckte seine Nase in etwas so altmodisches wie Bücher. Gut, ich verdiente damit teilweise mein Geld, aber der Onlinemarkt war inzwischen schon fast wichtiger geworden.
Was Bea dagegen dann doch interessant machte, waren ihre überaus lebhaften, strahlenden Augen und die kleine Stubsnase, die ihr ein neckisches Aussehen gab.
„Guten Tag Herr Hennig!“, sagte Bea mit einer wenig ausgeprägten Stimme. „Können sie mir bitte in mein Buch etwas hineinschreiben. Es würde mich sehr freuen.“
Daraufhin reichte sie mir einen meiner Romane der allerdings schon reichlich abgegriffen war. Entweder war er schon durch viele Hände gegangen oder wurde nicht besonders gut behandelt. Bei Bea hatte ich allerdings den Eindruck, dass sie auf solche Sachen besser aufpasste als so manch ein anderer Mensch. Daher ging ich davon aus, dass sie dieses Buch vielleicht gebraucht gekauft oder bekommen hatte.
Ich grinste sie an, stand auf und nahm eines meiner Exemplare aus dem Regal, denn ich ließ mir immer ein Paar davon schicken, wenn sie rauskamen. Es war dann die gebundene Ausgabe und ich mochte sie lieber als diese schnell die Form verlierenden Paperback Formate. Dann setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch, nahm meinen besten Füller mit Goldspitze und schrieb den üblichen Satz hinein, in dem man nur den Namen auswechseln musste.
Dann trocknete ich die Tinte, indem ich zweimal darüber pustete, klappte es zu und reichte es Bea, die es sofort nahm und an sich drückte. Das alte Exemplar ließ sie einfach auf meinem Schreibtisch liegen, als sie mit Christina verschwand. Ich sah den beiden hinterher und dachte nur: „Was für Unterschiede es doch gibt!“, und widmete mich wieder meiner Arbeit.
Sie hinterließ bei mir keinen bleibenden Eindruck und verschwand fast augenblicklich aus meinen Gedanken.
Dabei sah sich sie schon zwei Tage später wieder. Da Christina sie mir bereits vorgestellt hatte, bemerkte ich es nicht, als sie eine Woche später wieder bei uns war. Diesmal hatten sich mehrere der Studentinnen bei uns getroffen aber nicht zum Lernen, sondern sie wollten auf unserer Terrasse grillen und eben über Frauensachen reden. Christina hatte es mir gesagt und ich war damit einverstanden gewesen. Warum auch nicht. Das Einzige was ich nicht bedacht hatte war, das ja irgendwer den Grill bedienen musste, zumindest anzünden, denn einen Elektro- oder Gasgrill hatten wir nicht. Unser wurde noch auf die altmodische Art mit Holzkohle betrieben. Ich war immer der Meinung, dass es einfach besser schmeckte, obwohl es dafür keinen Beweis gab.
Dazu hatte ich mir eine dieser Feuerschalen gekauft, die es mittlerweile in vielen Baumärkten oder Gartencentern gab. Dazu ein Dreibein gebastelt, unter dem, an einer Kette ein Grillrost hing, den man nach Bedarf in der Höhe verstellen konnte. Selbstredend war dies natürlich die Ausführung für ganze Männer, soll heißen, größer als eigentlich gebraucht.
Da Ding funktionierte einwandfrei, hatte aber einen entscheidenden Nachteil. Wenn das Feuer oder die Glut so angefacht war, wie man es für die große Schale benötigte, warf das Ding eine solche Hitze, dass man es kaum noch aushalten konnte. Wenn man dann zu nah stand, wurde man gleich mit gegrillt. Um diesem zu entgehen, hatte ich mir extra eine überlange Gabel und einen ebenfalls so langen Wender gebastelt, denn auf dem freien Markt hatte ich so etwas noch nicht gesehen.
Somit musste Papa natürlich das Grillen übernehmen, während die Damen am Tisch sitzen würden und sabbeln. Dafür war Paps wieder genug und hatte nach dem Grillen schnellstens wieder zu verschwinden. Aber gut, was tat man ich alles für sein Töchterlein, damit diese zufrieden war. Immerhin erhielt man sich dadurch den Hausfrieden.
Und genauso kam es dann auch. Ich brachte das Höllenfeuer zum Glühen und stand in Shorts, Badelatschen und einem Sportunterhemd dabei und verlor alleine durch die Hitze, einen Liter Wasser nach dem anderen. Diesen Verlust versuchte ich dadurch zu ersetzen, dass ich Unmengen Wasser oben wieder hineinkippte. Zuvor hatte ich gedacht, dass ich das auch mit Bier tun könnte, aber das ließ ich nach den ersten zwei, da es mir sofort in den Kopf stieg.
Die kleine nur aus Frauen bestehende Gesellschaft traf langsam aber sicher ein, wobei Bea die Erste war. Das kam aber nur daher, weil sie pünktlich war. Alle anderen verspäteten sich bis zu einer Stunde. Also stand ich da, musste immer wieder Holzkohle nachkippen, damit auch dann noch genug Glut da war, wenn es endlich losgehen konnte.
Zum Schluss saßen sieben Studentinnen auf der Terrasse und unterhielten sich angeregt. Ihr oft lautes Lachen drang immer öfters an meine Ohren, während ich darum bemüht war, dass das Grillfleisch nicht verschmorte. Das war ich mir als Grillmeister dieses Hauses schuldig.
Als kleine Rache gegenüber von Christina hatte ich meine Lieblingsschürze angezogen auf der in großen Buchstaben stand: „Kiss the Cook!“
Christina sah es, schüttelte einmal mit dem Kopf, konnte aber nichts mehr dagegen tun, zumal ihre Mitstudentinnen es selber schon bemerkt hatten.
„Herr Hennig, cooles Outfit!“, rief auf einmal eine der Mädels zu mir herüber die ebenfalls, so wie meine Tochter Christina hieß und ich mir deshalb ihren Namen merken konnte.
Ich sah zu ihr herüber, grinste einmal und hob meinen Daumen in ihre Richtung. Sie grinste zurück und widmete sich dann wieder den vielfältigen Gesprächen an dem Tisch.
Die Tortur an dem Grill war zum Glück dann doch relativ schnell vorbei. Da der Rost sehr groß war, konnte ich das Fleisch auf einmal darauf legen und es war in wenigen Minuten fertig. Dazu kam natürlich, dass die Mädels nicht viel aßen. Immerhin wollten sie ihre Figur nicht ruinieren. Dabei frage ich mich bei einigen wirklich, was es dort zu ruinieren gab. Die einen hätten nach meiner Meinung eigentlich gar nichts essen dürfen bis auf ein wenig Salat ohne Dressing. Die anderen hätten es dafür doppelt notwendig gehabt. Dabei kam mir Bea wieder in den Sinn, bei der es mir besonders aufgefallen war.
Komisch, ich hatte ihren Namen tatsächlich behalten, wobei ich mich fragte, ob sie wirklich so hieß oder ob es nur eine Abkürzung für Beate war.
Egal, ich war mit meinem Job fertig. Ich räumte nur noch ein wenig auf, ging dann aber zurück ins Haus, um nicht weiter zu stören. Ein alter Mann wie ich hatte hier nichts mehr zu suchen und das verstand ich vollkommen.
Als ich das Haus noch nicht betreten hatte, rief mir Christina noch hinterher: „Danke Papa!“, und ich nickte in ihre Richtung, dann war ich verschwunden.
Im Haus angekommen wollte ich erst einmal duschen. Vom vielen schwitzen fühlte ich mich irgendwie klebrig und wollte außerdem die durchnässten Klamotten los werden.
Also schnappte ich mir neue Klamotten und verschwand im Bad, in dem ich mich schon zwei Minuten später genüsslich unter einem lauwarmen Strahl Wasser drehte. Ich liebte diese Dusche, da sie keinen von diesen engen Dingern war, denn ich hatte sie nach meinen Vorstellungen extra einbauen lassen.
Sie war ohne Wanne eingebaut worden und war so groß, dass man keinen Vorhang oder eine Kabine brauchte. Man konnte, wenn man wollte, herumplanschen, wie man wollte oder unter der Regendusche stehen und es einfach nur genießen, wie einem das Wasser weich auf den Kopf tropfte und den Körper einhüllte.
So stand ich noch einen Moment bewegungslos darunter und genoss das Gefühl, wieder sauber zu sei und nicht mehr zu schwitzen.
In diesem Augenblick ging die Tür auf und als ich erschrocken die Augen öffnete sah ich Bea in der Tür stehen, die mich genauso erschrocken ansah. Ich hätte die Tür abschließen sollen, aber daran hatte ich nicht gedacht.
Bea stand einen Moment wie vom Blitz getroffen da und starrte mich an, dann murmelte sie ein: „Entschuldigung!“, und schloss so schnell wie möglich wieder die Tür.
Peinlich aber nicht mehr rückgängig zu machen. Aber was sollte es schon, sie hatte sicher schon einmal einen Mann gesehen, und wenn ich es mir mit einem Grinsen im Gesicht genau überlegte, war ich noch recht ansehnlich. Also bekam sie wenigstens nicht den Schock fürs Leben.
Ich drehte das Wasser ab und war schon wenig später wieder in meinem Arbeitszimmer, in das die gedämpften Gespräche der Studentinnen drangen. Frauenkrams, nichts für mich. Das kannte ich schon und ich ging dazu über, mich wieder um meine Arbeit zu kümmern. Ich wollte noch ein paar Seiten meines neuen Romans schreiben, denn mir war beim Grillen eine neue Idee eingefallen und die wollte ich sofort umsetzten. So etwas duldete keinen Aufschub, sonst war die Idee sofort wieder weg.
Es wurde spät und nicht nur bei mir. Selbst als es schon draußen dunkel wurde, waren die Mädels noch dabei und tauschten neuste Informationen aus. Dazu hatten sie inzwischen Windlichter auf den Tisch gestellt, und da es eine eher tropische Nacht war, konnten sie es noch eine ganze Weile draußen aushalten.
Irgendwann hörte ich sie dann aber doch aufbrechen, und da es schon spät war, dachte ich mir, dass es ebenfalls eine gute Idee war, den Computer auszuschalten.
Ich traf im Flur noch auf die leicht angeheiterte Truppe, die immer noch nicht voneinander lassen konnte. Man kannte das ja, es wurde tausend Mal gesagt, dass man gehen wollte, aber selbst wenn man schon an der Tür stand, konnten sie doch nicht den letzten Schritt tun, ohne noch einmal fast von vorne zu beginnen.
Ich ging auf die Truppe zu und wollte an ihren vorbei zur Treppe, die nach oben und somit zu meinem Schlafzimmer führte.
Plötzlich hörte ich von Christina der Freundin meiner Tochter den Satz: „Kiss the Cook!“, und schon stürmte sie auf mich zu und drückte mir einen dicken Schmatz auf die Lippen.
Ich blieb ein wenig überrascht stehen und wurde noch mehr davon überrascht, als sich die Nächste aufmachte, diesem Beispiel zu folgen. Dazu hörte ich dann nur: „Danke Herr Hennig!“, und schon hing ein erneutes Paar Lippen an den meinen. Diesem Beispiel folgten dann noch alle anderen, was ich auf den leicht angeheiterten Zustand zurückführte. Zum Schluss stand Bea vor mir, und als ihre weichen Lippen meine berührten, ließ sie auf einmal ihre Zungenspitze hervorschnellen und zog sie schnell einmal von Links nach rechts zwischen meinen Lippen durch. Dies ging so schnell, dass es die anderen sicher nicht mitbekamen.
Dann entfernte sie sich sofort wieder von mir und blickte mir mit ihren strahlenden Augen tief in die meinen.
Dies dauerte sichern nicht länger als zwei Sekunden, doch es traf mich trotzdem.
Die anderen sahen meinen verwunderten Gesichtsausdruck und lachten über die Idee, „Kiss the cook!“, wörtlich zu nehmen. Ich ging schmunzelnd an ihren vorbei nach oben. Eigentlich eine nette Sache, wann kam man in meinem Alter schon dazu, von so vielen jungen Frauen geküsst zu werden.
Zufrieden mit mir und der Welt legte ich mich in mein Bett und wollte einschlafen, konnte es aber nicht, denn Bea ging mir nicht aus dem Sinn. Bei allen anderen war es ein Scherz gewesen, aber bei ihr? Was sie gemacht hatte, war anders. Hatte einen anderen Hintergrund.
Aber egal, ich schob den Gedanken von mir weg, denn ich wollte endlich schlafen, was mir dann auch gelang.
Morgens saß Christina mit leichten Kopfschmerzen mit am Tisch. „Na!“, sagte ich, „etwas viel getrunken?“
Sie nickte nur leicht mit ihrem Kopf und kaute lustlos an ihrem Toast herum, welches ich ihr gemacht hatte. So ist das halt, wenn man sich nicht zurückhalten kann. Dann bekommt man halt Kopfschmerzen.
„Meine Freundinnen sind blöd. Weißt du was sie gesagt haben?“
Ich schüttelte mit dem Kopf und sah sie erwartungsvoll an.
„Sie haben gesagt, dass ich unheimlich Glück habe, so einen Papa zu haben. Du würdest so nett sein und auch noch gut aussehen.“
Ich sah Christina an und antwortet: „Und wo ist da bitteschön der blöde Teil. Ich kann da keinen entdecken. Ist sicher geschmeichelt aber auch einer wie ich, hört das mal gerne!“
„Keine Ahnung, ich finde es einfach nur blöde!“ Mit diesem Kommentar stand sie auf, ließ ihr halb angekautes Toast auf dem Teller liegen und ging wieder in ihr Reich.
Ich räumte alles wieder weg, macht noch klar Schiff und ging in Richtung meines Arbeitszimmers. Im Flur kam ich an einem großen Spiegel vorbei und sah wie zufällig hinein. Dann stelle ich mich frontal davor und betrachtete mich, um mich dann im Profil anzusehen.
Eigentlich war noch alles recht gut in Schuss, fand ich jedenfalls und pfiff auf die angedeutete Meinung meiner Tochter. Ihr Idealbild eines Mannes sah sowieso aus wie ein Hardrock Star aber damit konnte ich nicht dienen. Ich empfand die langen Haare dieser Jungs als zu pflegeintensiv. Bis zu einem Zenitmeter länge ging ja noch, aber alles drüber war für mich zu viel. Die einzigen Nachteile dabei waren, dass es, wenn es regnete, einem die Tropfen direkt auf die Kopfhaut fielen oder, wenn die Sonne schien, die Strahlen. Ansonsten nur Vorteile. Saß immer, war windschnittig und nach dem Duschen immer schnell trocken. Gegen diese Argumente kam man eigentlich nicht an.
Aber egal, ich musste ja nicht so rumlaufen, und wenn Christina darauf stand, sollte sie sich so einen suchen.
In meinem Arbeitszimmer angekommen checkte ich erst einmal meine E-Mails. Wie immer waren es viele und ich musste eine schnelle Entscheidung treffen, welche ich las und welche sofort auf die Datenmülldeponie kamen. Es war nicht leicht, aber mit der Zeit entwickelte man ein Gespür dafür.
Fanpost beantwortete ich nur dann, wenn sie außergewöhnlich war, sonst bekamen die Fans vorgefertigte Dankesschreiben, von denen ich jede Woche ein neues verfasste. So konnte ich in den meisten Fällen ein Doppeltes vermeiden. Jeder sollte sich halbwegs individuell angesprochen fühlen. Anders ging es einfach nicht. Wenn ich jede Mail so beantwortet hätte, wie derjenige es eigentlich verdient hätte, dann käme ich nicht mehr zum Schreiben und der Tag müsste so manches Mal dreißig Stunden haben.
Was mir allerdings immer wieder ärgerte, waren Bittschreiben, da ich als erfolgreicher Schriftsteller schließlich Millionen im Keller hortete.
Ich weiß ja nicht was die Menschen glauben was man als Schriftsteller verdient, aber Millionen hätte ich wirklich gerne selber im Keller. Dass soll nicht heißen, dass ich nicht zufrieden gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Ich hatte mir ein großes Haus mit einem wunderschönen Außenpool im Garten kaufen können. Was wollte man mehr.
Solche Schreiben wurden natürlich gleich gelöscht.
Außerdem, wenn ich so viel verdienen würde, dann hätte ich eine Sekretärin, die all meine E-Mails bearbeitet und löscht. Aber die hatte ich nicht.
Zum Schluss hatte ich noch eine kleine Auswahl an E-Mails übrig, die ich mir genauer ansehen wollte. Für diese nahm ich mir immer die ersten zwei Stunden des Tages Zeit.
Es war schon interessant, was einige wenige Menschen für Mails schrieben. Besonders die mochte ich unheimlich, die konstruktive Kritik übten, was gar nicht so leicht war. Sie wiesen zum Beispiel darauf hin, wenn in einem meiner Werke etwas nicht logisch war. Schon komisch das mir das nicht auffiel und meinem Lektor auch nicht. Aber es kam vor. Konnte dann aber leider nicht mehr geändert werden, aber man merkte es sich für das nächste Mal.
Dann fiel mir eine E-Mail besonders auf und ich öffnete sie mit Neugierde. Hier hatte jemand geschrieben, der meine Romane anscheinend alle gelesen hatte und sie im Stil miteinander verglich. Es waren sowohl positive als auch negativer Entwicklungsstufen meines Schreibstils aufgeführt und mit Zitaten untermauert. Einen wirklich beeindruckende Auflistung und dazu genaue Arbeit, die man nur erhielt, wenn man über lange Zeit sehr aufmerksam meine Bücher las. Selbst mir als Autor waren bestimmte Stellen aus meinen Werken nicht mehr präsent.
Es war genau die Art von E-Mail, die ich liebte. Jemand der sich wirklich mit meinem Schreiben auseinandersetzte.
Die Antwort auf diese E-Mail fiel entsprechend lang aus. Leider hatte der Verfasser der E-Mail weder seinen Namen noch irgendetwas anderes von sich selber preisgegeben, selbst die E-Mail Adresse war neutral. Aber durch die praktische Antwortfunkion von E-Mails, war das kein Problem.
Dann machte ich mich wieder an die Arbeit. Ein Roman schrieb sich nicht von selbst. Oftmals harte Arbeit, besonders wenn einem nichts wirklich Gutes einfiel.
So saß ich den Tag lang da und höre nur einmal meine Tochter durch das Haus poltern. Ich hatte ihr niemals beibringen können, dass man auch leise sein konnte und nicht jedem mitteilen musste, dass man da war. Doch dann höre ich dir Tür des Eingangs zu gehen und es herrschte wieder die Ruhe, die ich brauchte. Dabei war das eigentlich falsch, den, wenn ich an einem Roman arbeitete, hatte ich fast immer einen Kopfhörer auf. Hier spielte ich, während ich schrieb, Instrumentalmusik ab. Ohne ging gar nicht, nur wenn ich Korrektur las, dann nur ohne. Wenn das Manuskript an den Verlag ging, dann sollten so wenig Fehler wie möglich drin sein. War zwar egal, da es normalerweise vom Verlag erledigt wurde, aber ich war es mir selber schuldig. Ich mochte es nicht, ein Werk abzugeben, was voller Fehler war.
So arbeitete ich weiter vor mich hin, und als ein Wechsel zweier Stücke kam, hörte ich auf einmal unsere Türklingel läuten. Normalerweise hätte ich sie nicht gehört, wenn in diesem Moment die Musik gespielt hätte.
Aber jetzt hatte ich es gehört und war ein wenig ärgerlich darüber, da ich in meinem Gedanken gestört wurde und das mochte ich gar nicht. Da die Konzentration jetzt sowieso weg war, konnte ich auch mal nachsehen, wer es war, denn wenn man es genau sah, musste ich mal wieder eine Pause einlegen, was ich sonst zu oft vergaß. Das rächte sich dann ziemlich schnell, denn ich bekam dann ziemlich schnell Verspannungen im Nacken und das tat weh.
Also ging ich zur Tür und öffnete sie. Davor stand Bea und sah mich an.
„Christina ist nicht da!“, sagte ich zu ihr und lächelte sie an.
Zu meiner Überraschung antwortete Bea: „Weiß ich. Ich wollte auch nicht zu Christina, sondern zu ihnen!“
Ich sah sie erstaunt an, aber sie erklärte mir es sofort.
„Ich habe einen kleinen Roman geschrieben und ich wollte sie bitten, vielleicht einmal darüber hinweg zu lesen. Es würde mich sehr freuen, wenn sie mir dann ein wenig Feedback darüber geben würden!“
Normalerweise lehnte ich so etwas ab, egal ob als E-Mail oder unaufgefordertes Manuskript bzw. Leseprobe, da auch meine Zeit begrenzt war. Hier war ich aber durchaus gewillt einmal eine Ausnahme zu machen, denn auch ich wollte natürlich jemandem unter die Arme greifen, von dem ich meinte, dass sie es verdient hätte. Bea war so eine Frau.
„Komm rein!“, sagte ich zu ihr und machte ihr Platz, damit sie an mir vorbei gehen konnte. Dann schloss ich die Tür und bat sie in mein Arbeitszimmer.
Sie setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und ich setzte mich dahinter. Dann klappte ich meinen Laptop zusammen und sah sie erwartungsvoll an.
„Na, dann erzähle mir mal, was das für ein Werk ist, was ich lesen soll.“ Ein paar Hintergrundinformationen wollte ich schon haben.
Bea erzählte es mir, wobei ich mich darüber wunderte, wie blumig und plastisch sie den Inhalt beschrieb. Dann meinte sie aber, dass es eigentlich gar nicht um den Inhalt ginge, sondern eher um die Art, wie sie schrieb.
Ich erklärte ihr, dass es auf das gesamte Paket ankäme und nicht auf einzelne Details.
Dann unterhielten wir uns noch ein wenig über den Beruf des Autors und sie bekam eine Vorstellung davon, wie es war ein Schriftsteller zu sein. Dabei hatte ich den Eindruck, als wenn ich ihr damit ein wenig die Vorstellung darüber zerstörte. Obwohl sie sicher einigermaßen realistische Vorstellungen davon hatte, wurde mir erst jetzt bewusst, dass man als Autor immer im Kampf gegen das Heer der anderen war. Selbst ich als inzwischen renommierter Schriftsteller musste meinen Status halten, konnte mir keine dummen Fehler erlauben. Jeder flopp auf dem Büchermarkt würde meine Existenz zumindest gefährden.
So hatte sie es noch nicht gesehen und ich konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, wie es in ihrem Köpfchen arbeitet.
Etwa eine Stunde nachdem ich sie in das Haus gelassen hatte, brachte ich sie wieder zur Tür. Als ich sie öffnen wollte, sagte sie auf einmal „Kiss the cook!“ und schon fühlte ich ihre so weichen Lippen an meinen. Ich war so irritiert, dass ich nicht sofort schalten konnte, und fühlte schon ihre Zunge in meinen Mund drängen. Um ehrlich zu sein, gefiel es mir aber, als ich es dann als das realisierte was es war, entzog mir Bea bereits ihre Zärtlichkeit und öffnete selber die Tür. Sie lachte und verschwand schnellen Schrittes aus dem Haus. Dann sah ich ihr noch nach, als sie den Weg zum Gartentor ging und wenig später aus meinem Blickwinkel verschwand.