Private Ermittlungen, Kapitel 9
Nachdem wir seinen Wagen vom Parkplatz der KTU geholt hatten, machten wir uns ein zweites Mal auf den Weg zum Lagerhauskai des Niehler Hafens.
Während der Fahrt liess ich die Ereignisse von vor drei Jahren in meinem Kopf Revue passieren. Marschall und ich waren gerade frisch im Raubdezernat angenommen worden. Trotz aller Widrigkeiten und Aufmüpfigkeit, die wir als Streifenpolizisten an den Tag legten, war die Versetzung durchgegangen. Ich vermutete bis heute, dass es eher der Versuch war, uns eizunorden als eine Beförderung.
Wir bekamen direkt einen großen Fall auf den Tisch. Organisiertes Verbrechen. Einbruch im großen Stil. Mehrere Villen im Hahnwald und in Marienburg waren ausgeleert worden und zwar fachmännisch. Der Verdacht stand im Raum, dass die Täter Hilfe aus dem Umkreis der Opfer haben mussten, denn alle Bewohner waren zu der Tatzeit verreist gewesen.
Die Brüche hatten jeweils nie lange gedauert und es waren gezielt die wertvollsten Gegenstände kassiert worden. Doch die einzige Spur, die wir hatten, war ein Lieferwagen, der an einigen der Tatorten beobachtet worden war. Wir hatten allerdings weder ein Nummernsc***d noch eine genauere Beschreibung und von den Tätern fehlte auch Monate nach dem ersten Verbrechen jede Spur.
Während einer Routineuntersuchung der Inneren wurden dann Ungereimtheiten festgestellt. Weder Marschall noch ich konnten uns die erklären. Beweise waren nicht richtig verbucht worden, teilweise waren Seiten aus den Berichten verschwunden.
Am Ende der Untersuchung wurden Marschall und ich beschuldigt, die Ermittlungen absichtlich zu sabotieren. Der Verdacht kam auf, dass wir mit den Tätern gemeinsame Sache machen würden. Zwar war an dieser Unterstellung nichts dran, aber die Daumenschrauben wurden von Tag zu Tag fester angelegt.
Marschall brach schliesslich zusammen. Die Indizienkette, die fabriziert wurde, war nicht so erdrückend, dass es chancenlos gewesen wäre, aber nach Wochen der Vorwürfe und mehr oder minder schlecht verdeckten Anschuldigen und dem Verlust des Rückhalts auch im engeren Kollegenkreis, den man fast schon als Freunde ansah, hatte er die Grenze dessen erreicht, was er aushalten konnte.
Er gestand, die Bande durch Manipulation der Untersuchung gedeckt zu haben und belastete mich als Drahtzieher. Dafür wurde er mit einer einfachen Entlassung aus dem Polizeidienst belohnt und kam straffrei davon.
Ich hingegen behaarte auf meiner Unschuld. Doch Marschalls Aussage zusammen mit den Indizien reichte dem Gericht am Ende, um mich der Beihilfe zu bandenmässigem Raub und der Behinderung polizeilicher Ermittlungen für schuldig zu befinden. Ich bekam drei Jahre und wurde ein Jahr später wegen guter Führung auf freien Fuss gesetzt.
Ich konnte nicht behaupten, dass mir die Geschichte egal war. Insbesondere am Anfang der Zeit im Gefängnis war mein Groll auf Marschall gewaltig. Doch mit der Zeit akzeptierte ich mein Schicksal. Whiskey und Zigaretten halfen dabei. Marschalls Tod war daher zwar nichts, was mir schlaflose Nächte bereiten würde, aber dennoch war es nicht so, dass ich ihm dieses Ende gewünscht hätte. Aber jetzt liess es sich nicht mehr ändern.
Wir fuhren diesmal nicht so weit auf den Kai, wie in der Nacht zuvor, sondern stoppten gleich beim ersten Lagerhaus.
„Naja, war nett dich kennenzulernen“, murmelte Yusuf, als der Wagen stand. „Man sieht sich.“
Ich nahm ihm die Worte nicht wirklich ab und vor allem konnte ich ihn nicht gehen lassen. Immerhin brauchte ich seine Hilfe noch.
„Nicht so voreilig, Kumpel“, erwiderte ich daher. „Du bleibst schön hier.“
„Von wegen“, entgegnete Yusuf.
„Hör mal her, ich habe eben eine ganze Stange Geld dafür ausgegeben, deinen Wagen loszueisen“, erinnerte ich ihn. „Und mein Wagen steht in Chorweiler, wo er mit keine großen Dienste leisten kann. Also brauche ich einen Fahrer. Und der wirst du sein.“
„Nie im Leben“, lehnte Yusuf ab.
„Du hast gar keine andere Wahl“, stellte ich fest. „Sonst könnten mir beim nächste Verhör Dinge einfallen, die einen bestimmten Taxifahrer betreffen, der mich letzte Nacht zum Tatort gefahren hat.“
Dabei lächelte ich boshaft und Yusuf verstand den schlecht getarnten Erpressungsversuch. Er presste die Lippen zusammen und warf mir einen Blick zu, der mich zu erdolchen versuchte.
„Also gut“, gab er schliesslich nach. „Aber zieh mich da nicht in irgendwelche Scheisse rein. Ich will keinen Ärger.“
„Keine Sorge“, beruhigte ich ihn und öffnete die Beifahrertür.
Ich stieg aus und machte mich zu Fuss auf den Weg den Kai hinunter. Als ich das zweite Lagerhaus passiert hatte, stoppte ich ab. Vor dem Lagerhaus, neben dem ich Marschalls Leiche gefunden hatte, standen zwei Streifenwagen.
Ich huschte an die Wand des nächstliegenden Gebäudes und schlich mit dem Rücken daran gepresst entlang, bis ich nur noch wenige Meter vom ersten Streifenwagen entfernt war. Er war leer. Beim zweiten Streifenwagen hingegen konnte ich einen Polizisten erkennen, der sich in die geöffnete Tür hinabbeugte.
„Jawohl, Herr Hauptkommissar“, hörte ich seine Stimme leise zu mir herüber wabern. „Die Kollegen und ich untersuchen jeden Zentimeter der Gegend. Bisher nichts.“
Er stoppte kurz und lauschte den Worten, die aus seinem Funkgerät kamen.
„Nein, sie hat sich hier bisher nicht blicken lassen“, antwortete er dann. „Aber falls sie auftaucht, werde ich Ihnen umgehend Meldung erteilen.“
Dann hängte er das Funkgerät wieder ein. Offenbar spielte Fuchs mit härteren Bandagen als es mir lieb sein konnte. Unter Polizeiaufsicht war es jedenfalls bedeutend schwerer, einen Blick auf den Tatort zu werfen. Aber ein Zurück konnte es für mich nicht geben. Zu viel stand dafür auf dem Spiel. Ich musste mir also etwas einfallen lassen.
Ich schlich mich näher an den leeren Streifenwagen heran. Als ich neben der Fahrertür kniete, warf ich einen Blick in das Innere. Der Wagen war so sauber, als wäre er frisch aus der Fabrik gekommen. Zu meiner Freude erblickte ich auch das Funkgerät des Wagens. Vielleicht konnte ich dieses für meine Zwecke nutzen.
Ich holte mein Dietrichset hervor und machte mich an der Tür des Streifenwagens zu schaffen. Es dauerte etwas über eine halbe Minute, bis ich ein leises Knacken hörte, dass mit meinen Erfolg anzeigte.
Ich zog die Dietriche zurück und drückte langsam den Griff der Tür nach unten. Die Tür schwang auf und ich konnte sie problemlos aufziehen.
Dann griff ich mir das Funkgerät und drückte auf den Sendenknopf.
„Hier Zentrale“, sagte ich. „Wichtige Meldung im Fall Marschall. Einsatzwagen bitte kommen, over.“
Ich blickte durch das Beifahrerfenster und sah, wie sich der Streifenpolizist wieder in seinen Wagen beugte.
„Hier Wagen 63“, meldete er sich. „Was gibt’s, over.“
Ich grinste. Manche Polizisten waren doch dümmer, als ihr Berufsstand erlaubte.
„Wir haben einen Anruf eines bisher unbekannten Zeugen erhalten“, log ich. „Sie müssten kurz dorthin und eine Aussage aufnehmen.“
„Aber ich kann meinen Posten hier nicht verlassen“, wiedersprach der Polizist.
„Keine Sorge, das ist mit Hauptkommissar Fuchs abgesprochen“, erwiderte ich. „Der Zeuge könnte uns eine Täterbeschreibung liefern.“
Ich hörte ein leises Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Also gut“, gab der Polizist dann nach. „Wo soll ich hin?“
„In die Friedrich-Karl-Strasse“, antwortete ich. „Hausnummer 5. Der Name des Zeugen ist Heinrich.“
„Hab verstanden“, erklärte der Polizist. „Mache mich auf den Weg, over.“
„Over and out“, schloss ich das Gespräch ab.
Ich hängte das Funkgerät wieder ein und schaute zu, wie der Polizist in seinen Wagen stieg. Kurz darauf hörte ich das satte Brummen des Motors. Der Streifenwagen setzte zurück und fuhr dann den Lagerhauskai entlang in Richtung der Boltensternstrasse.
Schnell sprang ich in den Streifenwagen und schloss die Tür. Der andere Wagen fuhr an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Ich atmete tief durch. Das war schon mal gut gegangen. Aber ich musste davon ausgehen, dass sich noch mehr Polizisten vor Ort befanden. Wenn ich mich hier umschauen wollte, musste ich also weiterhin höllisch aufpassen.
Ich öffnete den Streifenwagen wieder und stieg aus. Dann schlich ich mich weiter an dem Lagerhaus entlang, bis ich an die Ecke kam, hinter der sich der Durchgang befand, in dem Marschalls Leiche gelegen hatte.
Vorsichtig schaute ich um die Ecke. Zwei Polizisten standen im Durchgang und untersuchten die Gegend.
„Immer kriegen wir diese Scheiss-Aufträge“, maulte einer von beiden.
„Mecker nicht und such“, erwiderte der andere. „Das kommt eben davon, wenn man den Hauptkommissar einen miesepetrigen Einzelgänger nennt.“
„Aber ich hatte doch Recht“, widersprach sein Kollege.
„Recht hat immer der höhere Dienstgrad“, erklärte der andere. „Hast du das auf der Akademie nicht gelernt?“
Sein Kollege murmelte etwas, was ich nicht verstand. „Können wir nicht wenigstens eine rauchen?“ fragte er schliesslich.
„Und den Tatort kontaminieren?“ erwiderte sein Kollege. „Kannst deine Dienstmütze auch gleich an den Nagel hängen. Aber hey, die Idee ist nicht schlecht. Lass uns einfach um die Ecke treten. Da stört es keinen.“
Er griff in seine Tasche und holte eine Packung Zigaretten hervor, von denen er seinem Partner eine anbot. Dann wandten die beiden sich von mir ab und schritten durch den Durchgang, bis sie auf der Wasserseite des Lagerhauses um die Ecke verschwanden.
Schnell huschte ich in den Durchgang. Ich wusste, ich würde nur wenige Minuten haben, um etwas zu finden, was mir weiter helfen würde.
Als ich an der Stelle ankam, an der ich Marschalls Leiche gefunden hatte, ging ich in die Hocke. Auf dem Boden war noch immer der Rest des getrockneten Blutes zu sehen, dass aus Marschalls Körper geflossen war.
Ich liess meinen Blick umherwandern. Die Spurensicherung hatte tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Auf den ersten Blick jedenfalls konnte ich nichts finden, was nach einer Spur ausgesehen hätte.
Dann jedoch fing ein leichtes Glitzern meinen Blick. Ich blickte hinter eine der Kisten, die herumstanden und sah ein kleinen silbernen Anhänger auf dem Boden liegen. Ich griff zu und hielt mir den Anhänger vors Gesicht.
Es war ein kleiner Junge mit einem eingravierten B auf der Brust. Ich spürte einen stechenden Schmerzen in der Brust. Ich wusste genau, was für ein Anhänger das war. Und ich wusste auch, welche Geschichte sich dahinter verbarg. Marschall hatte sie mir seinerzeit erzählt. Und ich spürte, dass der Grund für seinen Tod vielleicht weiter in der Vergangenheit lag, als ich geahnt hätte.