Späte Erleuchtung – Wandertag
2. Wandertag
Urlaub. Sommer. Gluthitze.
Ich war allein in der Ferienwohnung. Dort war es eigentlich angenehm kühl – schon zeitig hatte ich alle Vorhänge zugezogen. Mir war langweilig, so recht wusste ich nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Den ganzen Tag hier auf der Bude hocken und in die Flimmerkiste glotzen? Och, nöö. Aber bei der Hitze raus? Auch nicht das Wahre. Am anderen Ende der Stadt gab es zwar eine Freizeitanlage an einem Baggersee, in dem man auch baden durfte – aber ich konnte mich nicht überwinden, los zugehen. Außerdem war es da bestimmt fürchterlich voll…. Ich lag nackt auf meinem Bett und dachte nach. Die Ferienwohnung lag in einem kleinen Vorort, etwa fünf Kilometer von der Stadt entfernt. Rundherum gab es nur jede Menge Natur: Wälder, Wiesen, Felder – dazwischen höchstens einmal eine einsame Landstraße. Plötzlich packte mich wieder die Lust, einfach loszuziehen und ein paar Fotos von der Natur und von mir in der Natur zu schießen. Schnell zog ich mir eine kurze Sporthose und ein Muskelshirt an und schlüpfte in meine Strandlatschen. Ich hing mir einen Leinenbeutel mit langen Schlaufen über die Schulter, schnappte meine Kamera und das kleine Alu- Stativ – und los ging`s. Über die Terrasse und den angrenzenden Garten der Pension verließ ich das Haus.
Als ich mich weit genug vom Ort entfernt hatte, und ich mir ziemlich sicher sein konnte, nun kaum noch jemandem zu begegnen, zog ich mich aus und verstaute die Sachen in der Tasche. Immer wieder hielt ich unterwegs an – im freien Feld, auf Waldwegen und Lichtungen, und auf den weitläufigen Wiesenflächen. Kamera aufbauen und Selbstauslöser einstellen – dann lief ich zu der Stelle, wo das Objektiv hinwies. Zurück, schauen – das war nichts, noch mal. Ein älterer Herr mit Hund kam mir entgegen, und schüttelte nur mit dem Kopf. Eine junge Frau radelte grinsend an mir vorbei – aber keiner der Beiden sagte etwas. Dann sah ich niemanden mehr. Vor mir lag ein langer asphaltierter Weg, der aber nur für Land- und Forstwirtschaftlichen Verkehr freigegeben war. Der Weg schien niemals zu enden; der heiße Asphalt brannte unter meinen Füßen; und so zog ich mir wenigstens die Latschen wieder an. Immer weiter entfernte ich mich vom Ort, ständig auf der Suche nach neuen Plätzen zum fotografieren. Die Sonne schien mich fast zu verbrennen; dicke Schweißperlen bildeten sich auf meiner Haut. Vielleicht hätte ich mir noch ein Handtuch mitnehmen sollen…. Doch ich lief immer weiter, jeden noch so kleinen schattigen Fleck nutzend. Ein Wenig verlor ich die Orientierung; die Gegend war mir eigentlich vertraut, schließlich bin ich hier aufgewachsen, und doch fremd, denn in dieser Ecke war ich noch nicht. Ich dreht mich einmal im Kreis, immer Ausschau nach etwas Bekanntem haltend, so wie ich es bei den Pfadfindern gelernt hatte. Tatsächlich entdeckte ich nach etwa einer dreiviertel Umdrehung in der Ferne die Turmspitze der Kirche im Ort. Rechts zweigte ein kleiner, schattiger Waldweg ab (endlich Schatten!); ein Stück weiter sah ich eine Lichtung. Wieder ein Platz für ein paar Bilder? Die Lichtung erwies sich schnell als weniger geeignet, denn kaum hatte ich die Kamera aufgestellt und mich in Position gebracht, umschwirrten mich jede Menge Mücken, Bremsen und was weiß ich noch für Insekten. Schnell weg hier!
Hinter der Lichtung führte der Weg weiter – tiefer in den Wald hinein. Als ich an die nächste Biegung kam, hörte ich Stimmen. Was nun? Einfach weitergehen, oder doch erst anziehen? Plötzlich wurde ich unsicher…. immerhin war es ja meine erste Nacktwanderung überhaupt. Dann sah ich sie: eine Gruppe Wanderer, fünf Männer – und alle nackt! Einer von ihnen hatte mich entdeckt; die Gruppe blieb stehen, bis ich aufschließen konnte. „Hallo, einsamer Wanderer! Wohin gehst Du?“ wurde ich freundlich begrüßt. Die Fünf waren alle so um die 40; wir stellten uns gegenseitig vor. „Eigentlich wollte ich ja gar nicht so weit laufen, sondern nur ein paar Fotos von mir machen. Ich wohne hier in einer Pension – da hinten im Ort.“ Ich zeigte in die Richtung. „Wenn Du möchtest, kannst Du ja mit uns weitergehen, und vielleicht Bilder von uns machen!“ „Gerne!“ antwortete ich – und war froh, nicht mehr alleine zu sein. Sie erklärten mir den Weg, den sie nehmen wollten anhand eines kleinen, fotokopierten Kartenausschnittes. „Von da aus führt ein Wirtschaftsweg direkt zurück in den Ort, etwa drei Kilometer“.
So gingen wir zusammen weiter – keiner von uns dachte auch nur im Entferntesten noch an eine andere Art der „Freizeitgestaltung“, angesichts der nur mit Schuhen bekleideten Körper. Uns verband eben nur, dass wir alle gern nackt durch die Natur liefen. Angeregt unterhielten wir uns, besonders natürlich über das Nacktwandern. Für mich war es das erste Mal, dass ich eine so lange Strecke ohne Klamotten zurücklegte. Doch die Anderen hatten viel zu erzählen, was sie während ihrer Touren schon so alles erlebt hatten. Ich staunte nicht schlecht, wie unterschiedlich die Leute doch auf nackte Wanderer reagieren.
Schnell verging die Zeit, und nach einer guten Stunde (oder so) waren wir am Ziel der Tour angekommen. Mir kam der Weg gar nicht mehr so lang vor, wie er mir zuvor auf dem Kartenausschnitt erschienen war. Hier trennten sich unsere Wege. Wir hielten an einer Bank an, die am Wegesrand stand, und die Fünf zogen sich wieder ihre Kleidung über; sie mussten nun noch ein Stück die Landstraße entlang. Schnell tauschten wir noch die Adressen aus, dann verabschiedeten wir uns voneinander. Ich überquerte die Straße – sie war leer – und konnte nun über den nächsten Waldweg bis kurz vor den Ortseingang noch nackt weiterlaufen. Dann zog ich mich an und ging zurück zur Pension. Endlich dort angekommen, schlüpfte ich sofort wieder aus den Klamotten – nur auf dem kurzen Stück waren sie schon durchgeschwitzt. Dann sprang ich noch flott unter die Dusche, trocknete mich ab und ging ins Schlafzimmer, Die Kühle in der Wohnung tat so gut! Rücklings ließ ich mich auf das Bett fallen und schlief sofort erschöpft ein.
Nach dem Urlaub schickte ich meinen neuen Wanderfreunden die Bilder, die ich unterwegs geschossen hatte. Wenn ich noch mal dahin fahre, werde ich mich bestimmt mit ihnen in Verbindung setzen! Es hat Spaß gemacht – und in der Gruppe ist es noch viel schöner als allein.