Geteilte Welten Kapitel 2 – Die Party
Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt (Mike fuhr wie der Teufel, und Tim musste sich gut an ihm festklammern) erreichten sie den Baggersee. Das letzte Stück mussten sie Mikes Moped schieben, an fahren war nicht mehr zu denken. Als sie ankamen, fielen Tim bald die Augen aus: rund um den Platz, an dem die Feier stattfinden sollte, waren brennende Fackeln in den Sand gesteckt worden; in der Mitte loderte ein Lagerfeuer, daneben stand ein Tisch mit einem Fass Bier und diversen anderen Getränken. Marko kam ihm entgegen, nahm ihn an die Hand und führte ihn zu seinem „Ehrenplatz“, der aus einem mit Wiesenblumen umrahmten und mit einer dicken Wolldecke bedeckten Felsbrocken bestand, so dass er einen einigermaßen weichen Sitzplatz hatte. Tim nahm Platz und wartete nun ungeduldig darauf, was weiter geschehen würde. Mit einem Tablett mit Plastikbechern bewaffnet, ging Willy zuerst zu Tim, dann zu den Anderen, die im Kreis um ihn herum saßen. Jeder von ihnen bekam einen Becher Bier. Wie auf ein Stichwort standen seine Freunde auf und erhoben ihre Becher; Marko stellte sich direkt vor ihn. „Wir wünschen Dir alles Gute zu Deinem 17. Geburtstag – und nun lasst uns feiern!“ Plötzlich hatte Tim das Gefühl, als müsse er gleich anfangen zu weinen, so gerührt war er. Ohne dass er es bemerkt hatte, war Marko kurz hinter der Runde seiner Freunde verschwunden und stand nun wieder vor Tim; in den Händen einen großen Karton. „Das ist für Dich – herzlichen Glückwunsch von uns allen!“
Tim wurde rot – bisher war er es nur gewohnt, Geschenke von seinen Eltern zu bekommen, oder von den geladenen Gästen, die im Garten der Villa an seiner „Geburtstagsfeier“ teilnehmen durften; das hier war ein völlig neues Gefühl für ihn. Mit zitternden Händen öffnete er den Karton – und fand zunächst nur jede Menge Füllmaterial in Form von Zeitungspapier. Irgendwo dazwischen lagen eine kleine Schatulle und ein Brief. Tim entschloss sich, zunächst den Brief zu öffnen. Darin stand: „Hallo Tim, wir wünschen Dir alles Gute zu Deinem Geburtstag! In dem Etui findest Du etwas, das Dich immer daran erinnern soll, dass Du zu uns gehörst und dass Du auf ewig unser Freund bist und bleibst!“ Darunter die Unterschriften aller seiner Freunde, die nun um ihn herum saßen: Marko, Willy, Mike, Olaf, Stefan, Andre, Rico, Paolo, der Sohn von Giovanni dem Pizzabäcker, Marcel, Holger, Lars und Dominik. Tim wusste nicht, wie ihm geschah – er zitterte nun dermaßen, dass er kaum das Etui zu öffnen vermochte. Schließlich gelang es ihm doch. Darin lag ein Amulett, in das am oberen Ende ein Loch gestanzt war. Wie zum Beweis zogen die Anderen aus der Runde ihre Schlüssel aus der Hosentasche oder die Halsketten unter den Pullis hervor – und an allen war als Anhänger dieses Amulett befestigt.
Das Feuer prasselte, und einer der Jungs hatte begonnen, Fleischspieße vorzubereiten und ins Feuer zu halten. Tim wusste nicht so recht wohin mit seinen Gefühlen – das Ganze überwältigte ihn einfach. Doch so langsam aber sicher wirkte wieder das Bier, und ein gewisses Hungergefühl wurde auch immer stärker. Als „Ehrengast“ stand ihm bestimmt der erste Spieß zu – dessen war er sich sicher. Und so war es auch: Marko überreichte ihm feierlich den ersten fertigen Grillspieß.
Nach dem Essen rief Mike: „So, und jetzt ist Partytime!“ Plötzlich ertönte Musik, und ausgerechnet Marko zog ihn hoch, und begann, sich im Rhythmus zu bewegen. Trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit – inzwischen dürfte es mindestens 21 Uhr geworden sein (Tim hatte nicht mehr auf die Uhr geschaut) – war es noch angenehm warm; und Tim wurde übermütig. Noch einmal setzte er sich hin, zog Schuhe und Strümpfe aus, entledigte sich dann auch noch seines Shirts und begann im Takt der Musik zu hüpfen. So gut hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt! Ehe er sich versah, gesellte sich Marko zu ihm – und schaute ihm tief in die Augen. Tim verstand nicht – er wollte einfach nur tanzen und das Leben genießen. Doch Marko wollte mehr – er wollte Tim! Aber Marko hielt sich zunächst zurück – niemand bemerkte etwas. Doch als Tim in die Büsche verschwinden wollte, folgte Marko ihm. Während sie nebeneinander standen und pinkelten, sah Marko immer wieder zu Tim herüber – es war nun nicht mehr zu übersehen. „Hey, was is?“ Marko wurde rot – er fühlte sich erwischt. „Nix – alles im grünen Bereich“ antwortete er, weil ihm nix Besseres einfiel. „Biste schwul, oder was?“ Die Röte in Marko`s Gesicht verstärkte sich noch mehr und er biss sich verlegen auf die Unterlippe, aber er antwortete nicht. Die Party war nun in vollem Gange – zeitweise wurde ein wenig abgetanzt, wenn gerade ein besonders gutes Stück aus dem Ghettoblaster dröhnte, oder man saß nebeneinander im Sand, trank und unterhielt sich. Ein Teil der Fackeln war bereits erloschen, und auch das Lagerfeuer ließ nun zu wünschen übrig. Marcel legte noch die letzten bereitliegenden Äste in das Feuer und auch das Zeitungspapier und der Karton wurden auf diese Weise entsorgt. Das Amulett! fiel es Tim ein – er zog es aus der Tasche seiner Jeans, nahm seine Halskette ab und befestigte es daran. Dann drehte er sich stolz in die Runde, so dass jeder es sehen konnte. Als Reaktion der Anderen erschall ein Applaus. Tim deutete eine Verbeugung an und grinste breit.
„Wer kommt mit ins Wasser?“ rief Mike plötzlich und begann, sich auszuziehen. Schnell hatten auch die Anderen nur noch ihre Unterhosen an und rannten johlend in den Bagger-See. Paolo wollte es besonders gut machen – er lief los, stieß sich vom Boden ab und versuchte, mit einem lang gezogenen Kopfsprung ins Wasser zu einzutauchen. Als Erfolg dieser –etwas misslungenen- Aktion erntete Paolo allerdings nur die Lacher der anderen Jungs; denn als er auftauchte, hingen seine Shorts nicht mehr dort, wo sie hingehörten, sondern in seinen Kniekehlen. „Huch – da wird ja wohl ein neues Gummiband fällig“ meinte er nur trocken, während er die Hose wieder hochzog. Es musste wohl schon weit nach Mitternacht gewesen sein, als die letzten Fackeln und dann auch das Lagerfeuer erloschen. Zur Vorsicht schaufelten sie noch etwas Sand auf die Glut, und jeder schnappte sich ein Teil der mitgebrachten Utensilien. Mikes Moped blieb am letzten Laternenpfahl vor dem See angekettet stehen. Mehr schwankend als gerade gehend erreichten sie den Bauernhof von Willys Eltern. „Pssst, leise jetzt!“ mahnte Willy seine Freunde. Wie an einer Kette schlichen sie hintereinander quer über den Hof und in den Stall, der als Strohmiete diente. Tim warf seine Sachen in eine Ecke (sie hatten sich nach dem Bad im See nicht wieder angezogen) und ließ sich auf einen der Strohballen fallen. Jeder der Jungs suchte sich nun einen Platz zum Schlafen aus, und nach ein paar kurzen, leisen Gesprächen wurde es schnell ruhig im Stall.