Weihnachten zu dritt Teil 8
Angela fühlte sich zwischen den beiden Männern so wohl, wie noch nie in ihrem Leben.
Irgendwann kamen sie wieder Zuhause an. Fritz verabschiedete sich von den beiden und schlenderte auf den Stall zu, während Angela und Heinrich das Haus betraten.
Sie zogen sich beide um und wenig später saßen sie im Wohnzimmer vor dem Kamin.
„Das hättest du mir ruhig sagen können!“, sagte Angela, während sie in die neu angefachten Flammen sah.
„Was hätte ich dir sagen können?“, fragte Heinrich, während er ebenfalls weiter in das Feuer sah.
„Na, dass du Chef bist. Außerdem würde es mich interessieren, was Fritz damit zu tun hat.“
„Hätte es etwas zwischen uns geändert, wenn du es gewusst hättest?“, antwortete Heinrich in seiner ruhigen Art, „Entschuldige, dass ich mit einer Gegenfrage antworte!“
„Kann ich nicht sagen, wahrscheinlich nicht. Wäre aber schön, wenn du mir die zweite Frage beantworten kannst!“
„Ich kenne Fritz fast so lange, wie ich lebe“, begann Heinrich. „Wir haben bereits in der Sandkiste zusammen gespielt und waren unzertrennlich, obwohl wir sehr unterschiedlich waren. Er der Eigenbrödler, der sich von niemandem etwas sagen ließ. Ein Mensch mit Visionen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich dagegen der Realist, kühl rechnend, auch schon, als wir noch klein waren. Irgendwann zog ich mit meinen Eltern weg und sah ihn eine kleine Ewigkeit nicht mehr wieder.
Während ich später eine Ausbildung zum Kaufmann machte, wurde aus Fritz ein Mensch, der zwar viele Ideen hatte, aber damit nichts anfangen konnte. Er legte sich nie fest, war mit dem zufrieden, was er hatte. Aus Geld machte er sich nichts, sofern seine bescheidenen Ansprüche ans Leben gedeckt wurden. Dazu zählt eindeutig gutes Essen.“
Hierbei musste Heinrich lächeln und sah zum ersten Mal Angela an.
Dann sprach er aber weiter. „Irgendwann hatte Fritz die weite Welt der Computer entdeckt, für die er sich sehr interessierte und das zu einer Zeit, wo die Dinger noch immens teuer waren. Er bastelte daran herum, programmierte sie und machte mit ihnen viel, wovon man zu der Zeit noch gar nicht sprach.
Ich hatte meine Kaufmannslehre beendet und tingelte durch mehrere Firmen. Allerdings nicht freiwillig, da ich den Stil der Führung dieser Unternehmen nicht akzeptieren wollte. Ich hatte andere Ideen, konnte diese aber nicht umsetzten.
Durch einen Zufall liefen Fritz und ich uns über den Weg und wir erkannten schnell, dass wir ein gutes Gespann waren. Er, der mit den Ideen, ich derjenige der sie vermarkten konnte. Was nutzt einem eine Idee, wenn man sie nicht verkaufen kann. So taten wir uns zusammen und gründeten unsere Firma.
Wir hatte auf der einen Seite Glück, was man auch braucht, haben aber auch hart dafür gearbeitet, dass die Firma ein Erfolg wurde. Jetzt ist es fast ein Selbstläufer und nur bei entscheidenden Fragen werden wir noch aktiv, wobei es mehr mein Ding ist. Fritz ist seiner Linie treu geblieben. Er nimmt das Leben, wie es ist. Er braucht nicht viel und geht in dem auf, was er hat. Nebenbei bastelt er noch immer herum. Solltest mal zu ihm rüber gehen und danach fragen. Aber nimm dir viel Zeit und Verständnis mit. Vielleicht zeigt er dir sogar sein Heiligtum, in das normalerweise keiner Zutritt hat!“
„Wie jetzt?“, fragte Angela, „Heiligtum? Was soll das denn sein?“
Heinrich grinste Angela an und meinte: „Frag ihn. Du wirst dich wundern!“ Mehr sagte er nicht dazu, sondern lehnte sich gemütlich gegen die Lehne und schwieg wie ein Grab.
Einige Fragen hatten sich durch diesen Tag beantwortet. Neue aufgetan aber da Angela wusste, dass sie diese noch beantwortet bekommen würde, konnte sie sich ebenfalls beruhigt in den Sessel kuscheln und den Tag abschließen. Es war alles besser abgelaufen, als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatte.
Da es spät war, wollte Angela nicht mehr zu Fritz rübergehen. Sie hatte außer ihre Neugierde auch keine Veranlassung dazu. Also beschloss sie früh ins Bett zu gehen, um am Morgen soweit ausgeruht zu sein.
Das war sie am nächsten Morgen auch, denn man hatte sie durchschlafen lassen. Warum wusste sie nicht. So war sie früh wach und wenig später im Stall.
Um diese Zeit war sie noch niemals im Stall gewesen und machte sie das Licht soweit an wie nötig, um mit dem Ausmisten anzufangen.
Angela war noch nicht weit gekommen, als Fritz durch eine Nebentür in den Stall kam. Er gähnte und rieb sich die Augen mit beiden Händen. Dann nahm er wortlos eine Mistgabel und die beiden arbeiteten nebeneinander her.
Etwa nach zwei Stunden waren sie mit dem sauber machen und versorgen der Tiere fertig. Jetzt war für Angela der richtige Zeitpunkt gekommen, um Fritz zu fragen. So dachte sie jedenfalls.
Sie stellte sich neben Fritz, der sich wie gewohnt auf den Stiel der Mistgabel aufgestützt hatte und in eine Ferne sah, die nur er kannte. Andere hätten gesagt, er starrte Löcher in die Luft.
„Sag mal Fritz“, begann Angela, „ich will ja nicht neugierig sein, aber Heinrich hat erwähnt, dass ich dich mal was fragen sollte!“
Fritz drehte seinen Kopf langsam in ihre Richtung und meinte: „Hat er das gesagt? Na dann wird es wohl stimmen. Was willst du denn wissen?“
„Er hat was von einem Geheimnis erzählt, wobei er das sicher nicht so gemeint hat. Immerhin ist ein Geheimnis etwas, was nicht jeder wissen soll!“
„Ist ein Geheimnis nicht auch etwas, von dem die Menschen nicht wissen, was es ist?“ fragte Fritz mit einem leichten Grinsen im Gesicht.
Angela überlegte einen Moment und wusste insgeheim, dass Fritz recht hatte. Alleine das Wissen um ein Geheimnis, ließ das Geheimnis nicht lüften.
„Aber wenn du es niemandem verrätst, dann kann ich dir zumindest ein Teil davon zeigen!“ dabei sah Fritz sie mit einem leicht belustigt wirkenden Gesicht an.
Angela nickt nur einmal und Fritz stellte die Mistgabe an die Wand.
„Na, dann komm mit!“, meinte er in Angelas Richtung und sie folgte ihm.
Er ging auf eine Tür zu, durch die er des Öfteren gekommen war. Angela wusste, dass dort nur ein kleiner Raum war und eine weitere Tür, die nach draußen ging. Fritz war mehrmals darin verschwunden oder wie an diesem Morgen herausgekommen. Wo er davor gewesen war, war ihr ein Rätsel. Überhaupt hatte sie noch niemals gesehen, wo er lebte. Oben waren der Dachboden und sonst nur der Stall. Wo er zum Beispiel schlief, wusste sie nicht.
Dann standen sie in dem Vorraum und Angela sah sich um, während Fritz zur rechten Seitenwand ging. Hier drückte er auf einen der Klinkersteine der genauso aussah, wie die vielen anderen in der Wand. Doch dieser schien einen Kontakt auszulösen in dem Sinne, dass fünf weitere sich aufklappten und ein Display zum Vorscheinen kam, welches sofort blau aufleuchtete. Heinrich tippte darauf herum und Angela erschrak, als vor ihr der Boden nach oben klappte. Jeweils ein Hydraulikzylinder auf jeder Seite, drückten den Fußboden hoch und wenig später konnte Angela eine hell erleuchtet Treppe sehen, die weit herunterführte.
Kaum hatte Angela sich von dem kleinen Schrecken erholt, stand Fritz neben ihr und meinte: „Darf ich bitten?“
Sie hatte das Geheimnis wissen wollen und jetzt tat es sich vor ihr auf. Ein zurück gab es nicht mehr.
Neugierig stieg sie Stufe um Stufe herunter, während Fritz hinter ihr her ging. Nach geschätzten acht bis zehn Metern stand sie vor einer Tür, die aussah, wie die von großen Kühlhäusern. Glänzendes Edelstahl mit einer großen Klinke. Daneben ein weiteres Tastenfeld. Hier tippte Fritz einen erneuten Code ein und drückte auf die Klinke, als ein leises Klickgeräusch erklang.
Obwohl die Tür schwer ausgesehen hatte, öffnete Fritz diese Tür vollkommen leicht und geräuschlos. Dann machte Fritz eine einladende Bewegung und Angela tauchte in eine andere Welt ein.
Ein längerer Flur mit kaltem Neonlicht tat sich auf, von dem mehrere Türen abgingen, die äußerlich nicht verrieten, was sich dahinter verbarg.
Fritz ging jetzt vor und öffnete die erste Tür. Dahinter war eine Art Werkstatt, die für alles ausgerüstet zu sein schien, was man handwerklich machen konnte. Diverse Maschinen waren säuberlich an den Wänden aufgestellt und Angela meinte mehrere davon zu erkenne. Sowohl eine Drehmaschine und eine große Bandsäge waren vorhanden, sowie diverse andere an der Wand angebracht. Alles sah sehr sauber und akkurat aus. Fritz war also auf Ordnung aus.
Bis jetzt war es noch kein wirkliches Geheimnis gewesen, sah man einmal davon ab, dass dieser Keller existierte.
Fritz schloss wortlos den Raum, in den Angela hineingeschaut hatte und ging zur nächsten Tür. Dahinter wurde es schon interessanter, denn hier schien das technische Zentrum zu sein. Diverse Bildschirme leuchteten im halbdunkel und Angela kam es vor, als wenn sie es so oder ähnlich in vielen SF Filmen gesehen hatte. Technikschränke waren aufgestellt und bei einem war die Tür offen, sodass man diverse LED´s aufblinken sah. Alles in allem eine beeindruckende Ansammlung von Technik.
„Hier bastelst du also an den Dingen herum, die dir einfallen?“, fragte Angela Fritz, wobei sie ihre Stimme leise hielt. Eine laute Aussprache kam ihr nicht angemessen vor.
Fritz nickte und sah sie mit ausdruckslosen Augen an. Es war für ihn nichts Besonderes und er konnte Angelas Neugierde nicht ganz begreifen. Gab es in dem Sinne nicht viel zu sehen.
Fritz schloss die Tür und öffnete die vorletzte damit Angela auch hier einen Blick hinein werfen konnte.
Dieser war fast vollkommen leer und sehr klein, denn das Einzige was dieser beherbergte, war die Tür zu einem großen Safe. So ein Edelstahlding mit Drehkreuz und Ähnlichem, was man aus Filmen kannte.
„Darf man frage, was dahinter ist?“, fragte Angela und sah Fritz an.
„Unsere Patente und Firmengeheimnisse. Bombensicher untergebracht!“, antwortete Fritz, machte zugleich die Tür zu.
„Reichen die beiden anderen Schutzmaßnahmen nicht schon aus? Immerhin kennt nicht jeder die Falltür oben und wenn, muss er die Codierung kennen. Dann noch die Tür hier untern mit noch einem digitalen Schlüssel. Ist das nicht übertrieben?“
„Vielleicht hast du recht, aber sicher ist sicher. Heinrich fand das auch schon, aber ich wollte das haben. Er nennt es eine Spielerei von mir und hat damit wohl recht!“
Dann schoss er auch diese Tür und öffnete die Letzte. Angela hielt den Atem an, als sie sah, was dahinter war. Es war eine Art Wohnzimmer, aber was für eines. Sicher 80 bis 100 Quadratmeter groß, wobei die Decke durch mehrere gemauerte Säulen gestützt wurde. Fritz hatte keine Kosten gescheut und der Raum war trotz seiner Größe gemütlich eingerichtet. Es gab mehrere Zonen, wobei eine große Küche den größten Teil ausmachte. Sie war auf der einen Seite mit den modernsten Geräten ausgestattet, fügte sich aber in den allgemeinen Stil ein, der eher aus längst vergangener Zeit zu kommen schien. Die Möbel waren alt, doch hervorragend restauriert und eher dunkel gehalten. Da die Wände aber weiß waren, kam keine bedrückende Stimmung auf, was auch daran lag, dass es nicht zu voll gestellt war und man noch Luft bekam.
Fast in der Mitte des Raums war der Boden noch einmal um etwa einen Meter abgesenkt und eine Couchgarnitur eingelassen worden. Diese war modern und in einem hellen, beigefarbenen Ton gehalten.
Dann erschrak Angela , als sie zwei Frauen auf dem Sofa sitzen sah, die sich jedoch nicht bewegten. Sie saßen da, als wenn sie in der Bewegung erstarrt waren.
Angela sah Fritz an und der lächelte sie an, als er merkte, was sie entdeckt hatte.
„Darf ich vorstellen? Karin und Christina!“, meinte er.
Die beiden schienen sich nicht angesprochen zu fühlen, denn noch immer bewegten sie sich um keinen Millimeter. Also ging Angela auf sie zu, um es sich genauer anzusehen. Je näher sie kam, umso deutlicher wurde, was sie vermutet hatte. Sie hatte sich täuschen lassen, denn die beiden waren nicht echt. Es waren jedoch keine Schaufensterpuppen, das hätte sie von Weitem erkannt. Als sie vor ihnen stand, wusste Angela, was sie vor sich hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nur davon gehört, aber sie noch niemals in natura gesehen.
RealDoll hießen diese Puppen, wobei der Ausdruck Puppe wohl falsch war. Sie waren Spielzeuge, die dem menschlichen Aussehen sehr nah kamen. Sogar ihr Gewicht sollte in etwa ähnlich sein. Sie sahen auch bei näherem Betrachten noch lebendig aus, insbesondere da das Licht hier unten, nicht sehr hell war. Beide waren normal angezogen und saßen mit überschlagenen Beinen dort, als wenn sie sich gerade bei einer Tasse Kaffee oder Tee unterhielten. Zumindest standen zwei Tassen und eine Kanne auf dem Tisch.
Angela wandte sich zu Fritz um, der weiter weg stand und sie beobachtete.
„Ausgefallene Dekoration!“, meinte Angela zu Fritz.
„Keine Deko!“, antwortete Fritz und kam näher, stand wenig später neben Angela.
„Was dann?“, fragte Angela und sah sich die beiden Figuren erneut an.
„Unser nächstes Projekt. Ich werde es dir einmal demonstrieren. Vielleicht wirst du dann verstehen!“
Angela bekam etwas mehr Gesichtsfarbe, da sie wusste, was man normalerweise mit einer RealDoll machte. Wenn Fritz jetzt von Vorführen sprach, kamen ihr andere Bilder in den Kopf. Doch Fritz ging nicht auf die Puppen zu, sondern fischte ein kleines Gerät aus der Tasche, welches wie eine Fernbedienung aussah.
„So, jetzt aufpassen!“, meinte er und drückte auf einen Knopf.
Angela zuckte mächtig zusammen, als sich die Puppen zu bewegen anfingen. Doch nicht in den bekannten eckigen Bewegungen, die man von Robotern kannte, sondern fließend und fast natürlich. Doch sie bewegten sich nicht nur, sondern begannen sogar damit, miteinander zu reden. Ihre Gesichter hatten dabei natürliche Züge. Es war tatsächlich eine kleine Kaffeeplauderei und passte zu der ganzen Szene.
„Wow!“, entglitt es Angela wie von selbst und was sie nicht erwartet hatte, geschah. Die beiden Puppen drehten ihre Köpfe in Angelas Richtung und fragten fast gleichzeitig: „Was ist Wow?“
Das haute Angela erst richtig aus den Puschen. Dass die Figuren auf sie reagierten, war der Hammer. Sie musste sich einen Moment setzten und sah die beiden fassungslos an.
„Hallo!“, meinte daraufhin die Puppe die Fritz mit Karin betitelt hatte. „Bekommen wir noch eine Antwort oder willst du nicht mit uns sprechen?“
Angela war immer noch sprachlos, sodass sich auf einmal die andere Puppe namens Christina an Fritz wandte und meinte: „Fritz, willst du uns die Frau nicht vorstellen?“
Fritz räusperte sich und sagte: „Darf ich euch Angela vorstellen, sie ist eine sehr gute Bekannte von mir. Bitte entschuldigt, dass ich sie euch nicht gleich vorgestellt habe.“
„Ah ha“, meinten die beiden gleichzeitig. „Wurde auch Zeit, dass du uns mal jemanden anderen hergebracht hast. Heinrich und du seid zwar nett, aber es ist schön, mal eine Frau hier zu haben.
Angela, ein schöner Name. Was machst du denn so Angela?“
Angela sah Fritz an und der drückte auf einen weiteren Knopf der Fernbedienung. Sofort verstummten die beiden Puppen und erstarrten in ihrer Bewegung.
„Soweit zur Demonstration. Ich hoffe du verstehst, dass es ein Geheimnis ist und geschützt werden muss. Die Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen und wird noch Jahre dauern. Sollten sie einmal funktionieren, wie wir es erhoffen, wird das ein großer Erfolg. Leider sind sie noch Prototypen.“
„Dafür also die ganzen Rechner nebenan?“, fragte Angela.
„Ja, dafür. Man braucht unheimlich viel Rechenleistung, obwohl ich das bereits um einiges reduzieren konnte! Ich brauche noch jemanden, der ihre Konversation weiterbringt. Ich bin ein Mann und kenne mich damit nicht so aus. Reden ist nicht meine Sache, obwohl ich ihnen schon viele Standardsachen beigebracht habe, mit denen einiges möglich ist. Sie erweiteren ihren Wortschatz, indem man mit ihnen spricht, wobei man sie entweder allgemein reden lassen, oder auf eine Situation programmieren kann. Wenn man eine intellektuelle Person braucht, dann kann man zum Beispiel die aktuellen politischen Gegebenheiten mit einbringen. Natürlich geht auch alles andere. Ich stelle mir das so vor, dass man das über das Internet als Update abrufen kann oder automatisch geschieht. Wie weiß ich noch nicht. Möglich ist da alles. Das ist aber nicht das Schwerste. Die Bewegungen, Gestik und Mimik sind wesentlich schwer zu machen. Es muss noch natürlicher aussehen, als es das jetzt schon ist. Daran arbeite ich noch. Allerdings werden sie wahrscheinlich in meinem Leben das Laufen nicht mehr lernen. Das wäre zu viel verlangt. Die ganze Technik, an die sie angeschlossen sind, kann ich nicht in ihnen unterbringen. Schon gar nicht die Energieversorgung.“
Welch ein Monolog. So lange hatte Angela Fritz noch niemals reden hören. Doch seine Erklärung brachte viel Licht ins Dunkel. Wenn auch nicht alles.
Angela sah Fritz an und konnte sich die Frage nicht verkneifen: „Du weißt schon, dass die Figuren eigentlich einen anderen Zweck haben?“
„Darauf werden wir sie auch programmieren!“, antwortete Fritz trocken. Damit hatte Angela nicht gerechnet. Aber es machte sie mutiger.
„Nur weibliche Figuren?“
„Warum den Markt nur zu 50% beliefern? Natürlich wird es auch männliche Figuren geben!“, meinte Fritz und sah Angela an, als wenn die Frage unverständlich gewesen war.
„Und? Gibt es die schon?“, fragte Angela und war nicht davon begeistert, Fritz diesbezüglich alles aus der Nase ziehen zu müssen.
„Ja, gibt’s, aber wie du dir denken kannst, stehen sie nicht ganz oben auf meine Liste!“
„Kann ich das Mal sehen?“
„Ist noch nicht fertig. Sieht noch ziemlich gefleddert aus. Ich werde ihn aber noch diese Woche zusammenbauen. Wenn er fertig, ist, kannst du ihn dir ansehen!“
Die Antwort war zwar für Angela nicht das, was sie erhofft hatte, aber immerhin würde sie es zu sehen bekommen.
Wenig später stand Angela auf und sah sich noch ein wenig im Raum um, während Fritz ein paar Häppchen machte. Es gab noch zwei Türen, die wohl in private Räume von Fritz führten. Sicher Schlafzimmer und Bad. Sonst gab es kaum noch etwas zu entdecken. Doch was sie gesehen hatte, war überraschend genug gewesen.
Eine halbe Stunde später gingen sie wieder zusammen die Treppe herauf und öffneten die Falltür, indem Fritz auf einen einfachen Knopf drückte.
„Nicht sehr gut gesichert!“, meinte Angela.
„Wer soweit gekommen ist, kommt auch wieder heraus. Wozu sollte man den Rückweg also sichern?“
Das war logisch, dachte Angela und Fritz verabschiedete sie auf der obersten Stufe. Während Angela jetzt zur Tür zum Stall ging, ging die Hydrauliktür hinter ihr zu und Fritz entschwand aus ihrem Blick.
Nachdenklich ging Angela zurück in das Haupthaus. Heinrich war ebenfalls aufgestanden und saß am Tisch mit einer dampfenden Tasse Kaffee vor der Nase.
„Na!“, meinte er, „Hast du alles gesehen?“
„Ja, soweit er mir das gezeigt hat. Ist schon ungewöhnlich!“, antwortete Angela und meinte es so, wie sie es gesagt hatte.
„Und was hältst du davon?“, fragte Heinrich, wobei sich in seinem Gesicht ein großes Interesse widerspiegelte.
„Schwer zu sagen. Ich habe noch niemals in meinem Leben darüber nachgedacht, wer solche Puppen kauft oder benutzt. Es kommt mir alles seltsam vor. Besonders wo ich sie jetzt gesehen habe. Sie sehen sehr realistisch aus. Dabei frage ich mich, ob man ihnen das Sprechen beibringen soll. Ich meine nur, dass vielleicht gerade, weil sie stumm sind, die Menschen eine Puppe bevorzugen. Keine Widerworte, keine Diskussionen. Wenn ich mir vorstelle, dass jemand die Dinger kauft und mit ihnen vorweg noch diskutieren muss, ob sie wollen oder nicht, ist das ein Gedanke, der mich schmunzeln lässt.“
„Sprechen sollen sie nur bei einsamen Menschen. Das kann man abschalten. Uns kam es mehr auf die Bewegungen an. Dass wir dazu RealDolls genommen haben, hat nur etwas damit zu tun, dass es etwas für das Auge war. Wir hätten auch andere Figuren nehmen können. Es war übrigens nicht einfach, das enthaltene Skelett in den Puppen, gegen eines von unseren auszutauschen. Silikon kann widerspenstig sein. Aber es drängt uns keiner, von daher könne wir uns, so viel Zeit, wie nötig nehmen. Wir rechnen realistisch gesehen mit der Marktreife in etwa zehn Jahren, wenn überhaupt. Vielleicht werden es für immer Prototypen bleiben.
Mal sehen, was du zu Ralf sagen wirst, wenn er fertig ist!“
Angela sah Heinrich verwirrt an. Mit Ralf konnte nur die männliche Puppe gemeint sein, von der Fritz gesprochen hatte, sicher war sie sich aber nicht.
„Ah ha, die männliche Figur heißt also Ralf. Warum dieser Name?“
„Weil er wie ein Ralf aussieht!“, grinste Heinrich Angela an.
„Und wie sieht ein Ralf aus?“, kam fragend von Angela zurück, denn sie verstand diese Argumentation nicht.
„Na, wie die Puppe halt!“, daraufhin musste Heinrich lachen, besonders weil Angela ein angesäuertes Gesicht, zu dieser Antwort machte.
„Sehr witzig!“, meinte sie und warf ihren Kopf zurück, wobei sie mit dieser Geste ausdrücken wollte, was sie über diese Antwort dachte. Das verstärkte Heinrichs Lachen so weit, dass er sich zum Schluss den Bauch hielt, um nicht zu platzen.
„Ich will übrigen heute noch in die Stadt. Willst du mit?“, fragte Heinrich Angela, als er sich langsam beruhigte und einige Lachtränen aus dem Gesicht wischte.
Jetzt eigentlich nicht mehr, aber da sie lange nicht mehr dort gewesen war, willigte sie ein, obwohl sie noch eingeschnappt war.
Es war herrlich unter Menschen zu kommen. Dies ließ ihre schlechte Laune sofort verfliegen und Angela erfreute sich an den vielen schönen Lichtern, die die Straßen der Innenstadt erleuchteten. Dazu gingen Angela und Heinrich über den gut besuchten Weihnachtsmarkt und standen wenig später in einer Glühweinbude, um sich aufzuwärmen.
Es dauerte eine ganze Zeit, denn nach dem ersten Drink, war ihnen noch nicht danach, schon wieder den Heimweg anzutreten. So folgte die Zweite, dann die dritte Tasse des alkoholischen Heißgetränks.
Als Angela ihre dritte Tasse an den Mund führte, hätte sie sich beinahe verschluckt, was nicht an dem Getränk lag. Ging doch Thomas gerade an der Bude vorbei. Allerdings nicht alleine. Die Frau in seinem Arm kannte sie bereits, war sie doch auf der Feier mit ihm da gewesen.
Hatte es ihr auf der Feier noch weh getan, als sie ihn gesehen hatte, war da jetzt nichts mehr. Nein, so konnte man es eigentlich nicht sagen. Da war schon noch etwas, aber mit dem Wort Hass zu übersetzten. Ja, so in etwa musste das Gefühl sein. Aber seltsamerweise hatte sie nicht mehr das Gefühl, sich rächen zu müssen. Für was auch. Für das, dass es ihr jetzt wahrscheinlich besser ging, als zuvor mit Thomas. Wohl kaum. So grotesk es auch klang, hätte sie sich eigentlich bei ihm für alles bedanken müssen. So und so ähnliche Gedanken schossen ihr in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, selbst noch, als Thomas nicht mehr zu sehen war. Heinrich sah Angela an und wusste, das etwas nicht stimmte. Er verfolgte ihren Blick und konnte ebenfalls Thomas sehen, den sie fixierte, sagte aber nichts dazu.
Das Tollste an dem Tag war, dass Heinrich ihr eine Kreditkarte schenkte, mit der sie begrenzten Zugang zu einem Konto für sich hatte. Er hatte es eingerichtet, da sie in dem Sinne nichts verdiente und mittellos dastand. Bis jetzt war ihr das noch nicht aufgefallen, da sie kein Geld benötigte. Doch jetzt und in der Stadt fiel es doch auf, obwohl Heinrich, das wenige bezahlte, was sie kaufte.
„Das Geld hast du dir verdient. Immerhin hilfst du Fritz und das ist Arbeit, die bezahlt werden muss!“, meinte Heinrich trocken und gab ihr die Karte.
„Für das Ausmisten eines Stalls verdient man so viel?“, meinte Angela nachdenklich, während sie die Karte zwischen ihren Fingern drehte, „Wenn ich das gewusst hätte, dann wäre es mein größter Berufswunsch geworden!“
Dann grinste sie Heinrich an und dieser zurück. Wenig später saßen sie im Wagen und fuhren über Umwege nach Hause, denn Angela wollte den Weihnachtsschmuck und die beleuchteten Fenster der Wohnungen und Häuser sehen. Immerhin waren es nur noch wenige Tage bis zum Fest und sie freute sich darauf. Das Fest der Liebe, des Friedens und der Ruhe. Dabei kam ihr das seltsam vor, denn Ruhe und Frieden hatte sie inzwischen genug. Liebe war so eine Sache für sich. Wenn sie es sich überlegte, mochte sie Heinrich und Fritz sehr gerne, aber lieben? Sie wusste es nicht.
Als sie aus der Stadt herausfuhren, wurde es dunkel und sie nickte leicht ein, denn der Glühwein machte sie träge. So schreckt sie auf, als sie plötzlich vor dem Haus standen und aussteigen sollte. Sie gähnte und ging mit Heinrich hinein.
Der Abend war wie immer ruhig, sehr ruhig. Heinrich genoss es und Angela gewöhnte sich ebenfalls immer mehr daran, konnte und wollte es nicht mehr anders.
Heinrich zauberte noch eine Flasche Glühwein hervor und dieser schmeckte noch einmal so gut, wie der auf dem Weihnachtsmarkt. Wohlig warm wurde es in ihr. Äußerlich war es sowieso schon. So dämmerte sie noch einem Moment vor sich hin, bis sie sich von Heinrich verabschiedete und in ihr Zimmer ging. Hier riss sie sich die Klamotten vom Leib, denn sie wollte, so schnell wie möglich ins Bett.
Kaum war die Decke angewärmt, schloss sie ihre Augen und fiel in tiefen Schlaf.